BÖSES GEMÜSE? ALLES ÜBER LEKTINE
Die Rolle der Lektine und ABO-Antigene in der individualisierten Ernährungstherapie
Lektine sind proteinbasierte Moleküle, die in Pflanzen, Tieren und auch Menschen vorkommen. Es handelt sich um eine sehr heterogene Gruppe der sog. «Anti-Nährstoffe». Typisch für Lektine ist die spezifische Bindung an Kohlenhydratstrukturen der Zellenmembranen, Bindegewebe sowie Mucinen unter der Bildung sog. «Glykokonjugate» [9, 18, 25]. Die meisten Lektine aus der Nahrung befinden sich in Samen, Keimblätter und in Randschalen von Pflanzen [16, 22, 24].
Anders als weithin angenommen, überstehen viele v.a. pflanzliche Lektine den Koch-und Verdauungsprozess unbeschadet. Gewisse Lektine können Verdauungsenzyme hemmen und sich an die stark glykierte Schleimhaut im oberen Dünndarm anheften und dort die Zellteilung- oder Zerstörung induzieren. Dadurch erhöht sich die Darmpermeabilität, sodass u.a. intakte Lektine in den Körper gelangen und immunologische Reaktionen auslösen sowie körpereigene Proteine durch «Mimikry» imitieren können (siehe Abb.) [3, 6, 24,25]. Dies kann zu Reizdarm-Symptomen, «stillen Entzündungen» bis hin zu Autoimmun-Prozessen führen [5, 25]. Insbesondere junge und entartete Zellen bieten aufgrund der höheren Glykierung viele Andockstellen für Lektine. Im Bereich der Krebsforschung kommen Lektine daher z.B. zur markieren von Krebszellen zum Einsatz [2].
[25] Vojdani, A. (2015)
Der Begriff «Lektin» stammt vom lat. Wort «legere», was für «wählen» steht. Der Immunochemiker William C. Boyd prägte 1945 diesen Begriff als er realisierte, dass bestimme Lektine die einen Blutgruppen-Antigene agglutinieren, die der anderen hingen nicht. Alle Lektine als toxisch zu bezeichnen wäre daher falsch [1]. Zentral ist die Erkenntnis, dass sich die innate AB0-Antigenexposition nicht auf Erythrozyten beschränkt, sondern in allen Sekreten inkl. Darmmucus zu finden ist. Insbesondere im Darm könnten die unterschiedlichen Blutgruppenantigene als Kohlenhydratstrukturen mit Lektinen und Bakterien in Reaktion treten und somit zu individuellen Reaktionen auf unterschiedliche Nahrungslektine führen.
In Europa gehören ca. 20% der Menschen zu den genetischen «Non-Sekretoren». Das heisst sie zeigen keine oder wenige AB0-Antigene in ihren Sekreten, was wiederum ein immunologischer Nachteil zu sein scheint. So konnten Studien zeigen, dass es eine klare Verbindung mit dem genetischen «Non-Sekretor-Status» und chronisch entzündlichen, schleimhautassoziierten Krankheiten wie Morbus Crohn [12]. Zöliakie [15], Asthma [19], Zystitis [20] und Sjögren-Syndrom [10] gibt. Einige Studien weisen sogar darauf hin, dass AB0-Antigene in der Schleimhaut relevante, genetische Prädispositoren für die intestinale Fora sind, da sich einige Bakterien von den Kohlenhydratstrukturen der Antigene ernähren und sie selbst Lektin-ähnliche Rezeptoren aufweisen, was es ihnen ermöglicht sich an die Darmzellen zu heften [4, 8, 23, 26]. AB0-Antigene scheinen in der Mikrobiota- sowie der Gemoics -Forschung eine zunehmend wichtige Rolle zu spielen [4, 27]. Folgende Punkte zeigen auf, warum gewisse Nahrungslektine heute vermehrt in den Darm gelangen und daher eine zentrale Rolle für die Darmgesundheit spielen:
- Behandlung: Monokulturen machen Pflanzen frassanfälliger, was zum vermehrten Einsatz von Pestiziden und zur Umzüchtung von frassresistenteren Pflanzen führte. Lektine als Immunsystem der Pflanze sowie die ATIs (Amylase-Trypsin-Inhibitoren)-Mengen erhöhen sich. ATIs hemmen die Stärke- und Proteinverdauung, sodass mehr der potentiell schädlichen Lektine im Darm ankommen. Hinzu kommt, dass durch nichtartgerechte Fütterung gewisse Pflanzenlektine vermehrt im Fleisch von Tieren vorkommen [3, 7, 21].
- Ernte: Sobald Früchte und Gemüse reif sind, reduziert die Pflanze den Lektingehalt. Früchte und Gemüse werden heute allerding immer häufiger unreif geerntet und künstlich nachgereift. Das lässt sie zwar reif aussehen, innerlich weist das Lebensmittel aber den erhöhten Lektingehalt des unreifen Stadiums auf [13, 14].
- Zubereitung: Als Teil des pflanzlichen Immunsystems befinden sich die meisten Lektine in der Randschale von pflanzlichen Lebensmitteln. Über den vermehrten Verzehr von Vollkorn-Produkte gelangen z.B. mehr Lektine in unseren Darm. Werden z.B. Getreide und Hülsenfrüchte gekeimt, eingeweicht, fermentiert und lange oder mit Druck gekocht reduziert sich der Gehalt. Diese Art der Lebensmittelzubereitung kommt aufgrund des erhöhten Zeitaufwands immer seltener zur Anwendung [11, 16, 22].
- Verarbeitung/Konsum: Gewisse Lektine werden in industriell Hergestellten Produkten zur Verbesserung der Textur und Haltbarkeit eingesetzt. Verdickungsmittel/Emulagorten z.B. «Gummis» (E414) verstärken zudem die Lektin-Aktivität. Hinzu kommt, dass der Mensch immer mehr zu denselben Lebensmitteln greift, sodass das Risiko den Darm mit einseitig vielen Lektinen zu überfordern steigt [17].
Fazit
Verschiedene Lektine und die innaten ABO-Antigenstrukturen könnten eine Schlüsselrolle bzgl. Erhalt-und Wiedererhalt der Darmgesundheit sowie der Prävention von Autoimmunkrankheiten in der individualisierten Ernährungstherapie spielen. Mit natürlich gereiften Lebensmitteln, artgerechter Tier-Fütterung, der richtigen Zubereitung sowie einer höheren Diversität in der Nahrungsmittelauswahl können im Allgemeinen mögliche negative Folgen von Lektinen reduziert werden.
Weiterführende Links
Literatur zum Artikel
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